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Nach einer Kürzung der Lohnnebenkosten zu rufen, ist populär und aktuell wieder en vogue. Welche Kürzungen es bereits gegeben hat, wie sich weitere auswirken würden und warum stattdessen besser die schwarzen Schafe unter den Unternehmen in die Pflicht genommen werden sollten, erklärten im Rahmen eines Pressegesprächs Sybille Pirklbauer, Leiterin Abteilung Sozialpolitik, AK Wien und Miriam Fuhrmann, Expertin für Volkswirtschaft, ÖGB:
Wie das Amen im Gebet rufen Unternehmensvertreter:innen und bestimmte Politiker:innen – meist im Vorfeld von Wahlen – populistisch nach einer Kürzung der Lohnnebenkosten. Das würde Österreich als Wirtschaftsstandort attraktiver machen, den Beschäftigten würde mehr im Börsel bleiben.
„Tatsache ist aber, dass es sich bei den Lohnnebenkosten nicht um Nebensächliches handelt, das schnell im Vorbeigehen gekürzt werden kann, sondern um wichtige Sozialstaatsbeiträge, die alle Menschen bei Krankheit, Unfall und im Alter absichern sowie Familien unterstützen“, erklärt Miriam Fuhrmann, Expertin für Volkswirtschaft beim ÖGB.
„Am Ende des Tages würden die Beschäftigten doppelt für Kürzungen zahlen, weil weniger Mittel für Familien- oder Gesundheitsleistungen vorhanden sind. Die behauptete Entlastung der Arbeitnehmer:innen gibt es ebenso wenig: Aktuelle Studien zeigen, dass geringere Beiträge der Arbeitgeber nicht den Mitarbeiter:innen zugutekommen, sondern nur die Gewinne erhöhen“, erklärt Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien.
Deshalb sind sich die Expertinnen einig: Statt den Sozialstaat anzugreifen, sollten lieber die schwarzen Schafe unter den Unternehmen – Stichwort Lohn- und Sozialdumping, nicht abgegoltene Überstunden, Zwischenparken beim AMS – in die Pflicht genommen werden.
Gerne werden Lohnnebenkosten als Bestandteil des Lohns dargestellt, was insofern richtig ist, als sie von den Arbeitnehmer:innen erwirtschaftet werden. Aber technisch führt der Dienstgeber diese Abgaben direkt ab. Die Abgaben werden am Bruttolohn bemessen und auf diesen draufgeschlagen. Eine Kürzung der Lohnnebenkosten ändert daher nichts am Brutto- oder Nettogehalt. Werden diese gekürzt, fließt die Ersparnis folglich den Arbeitgebern zu.
Zu den Lohnnebenkosten zählen folgende Abgaben, aus denen wichtige Leistungen finanziert werden:
Sozialstaatsbeitrag | Nutzen für die Beschäftigten | |
---|---|---|
Pensionsversicherung | 12,55% | Pension |
Krankenversicherung | 3,78% | Gesundheitsversorgung und Krankengeld |
Arbeitslosenversicherung | 2,95% | Arbeitslosengeld, Qualifizierung |
Unfallversicherung | 1,10% | Versorgung bei Unfällen |
Insolvenz-Entgelt-Fonds | 0,10% | Lohnzahlung bei Konkurs des Arbeitgebers |
Abfertigung-Vorsorgekasse | 1,53% | Anspruch auf Abfertigung |
Wohnbauförderung | 0,50% | Leistbare Wohnungen |
Familienlastenausgleichsfonds | 3,70% | Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Freifahrt, Schulbücher usw. |
Kommunalsteuer | 3,00% | Schulen, Kindergärten, öffentlicher Verkehr, Abwasser u.v.a. Gemeinde-Services |
„In den vergangenen Jahren fanden immer wieder Kürzungen der Lohnnebenkosten statt“, sagt Fuhrmann und betont, dass „diese Löcher etwa in die Unfallversicherung sowie in die Töpfe für Familien gerissen haben“. Insgesamt fehlen 2025 bereits 2,8 Milliarden Euro pro Jahr – oder mehr als 16 Milliarden Euro seit 2015. Dazu Fuhrmann: „Dringende Maßnahmen wie die Anerkennung von neuen Berufskrankheiten konnten damit nicht umgesetzt werden.“
Kürzung von Lohnnebenkosten in den vergangenen zehn Jahren | |
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2015 | Unfallversicherung (UV) von 1,4% auf 1,3% und Insolvenzbeitrag (IESG) von 0,55% auf 0,45% |
2016/17 | Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) von 4,5% auf 4,1% und IESG von 0,45% auf 0,35% |
2018 | FLAF von 4,1% auf 3,9% |
2019 | UV von 1,3% auf 1,2% |
2020/22 | IESG von 0,35% auf 0,1% |
2023 | FLAF von 3,9% auf 3,7% und UV von 1,2% auf 1,1% |
2024 | Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 3,0% auf 2,95% |
Die Historie zeigt aber auch: Auf jeden Ruf nach der Kürzung von Lohnnebenkosten kam ein neuer. Das reißt massive Budgetlücken in den Sozialstaat. Springt dann die Regierung ein, zahlen das die Arbeitnehmer:innen. Denn sie finanzieren (gemeinsam mit den Konsument:innen) den allgemeinen Staatshaushalt zu 80 Prozent. Springt die Regierung nicht oder nicht zur Gänze ein, drohen Kürzungen der Sozialleistungen. Kurz: Eine Kürzung der Lohnnebenkosten ist ein trojanisches Pferd für die arbeitenden Menschen. Denn sie zahlen doppelt drauf, während die Arbeitgeber:innen profitieren.
Die nun diskutierten Kürzungen zum FLAF und zur Arbeitslosenversicherung hätten dramatische Folgen, wie AK Expertin Pirklbauer betont: „Ein geringeres Arbeitslosengeld führt dazu, dass Menschen nach einem Verlust ihres Jobs schneller in die Armut abrutschen. Kürzungen beim FLAF erhöhen den Druck auf das Budget, wodurch es über kurz oder lang zwangsläufig zu Kürzungen von sozialstaatlichen Leistungen kommt.“
Daher ist es, wie ÖGB Expertin Fuhrmann betont, eine „Irreführung“ von einer Entlastung der Arbeitnehmer:innen zu sprechen. „Viele Studien zeigen, dass geringere Arbeitgeber-Beiträge keineswegs den Beschäftigten zugutekommen, sondern lediglich die Gewinne der Unternehmen erhöhen – und das ebenfalls sehr einseitig.“ Denn fast die Hälfte der Ersparnis geht an das Top 1 Prozent der Unternehmen. Die andere Hälfte teilen sich die restlichen 99 Prozent. Zu den großen Profiteuren würden Banken und Versicherungen zählen, Kleinbetriebe dagegen profitieren kaum. Fuhrmann: „Sehr wenige Unternehmen erhalten also den Löwenanteil und sparen sich so Millionen.“
Weiters betont AK Expertin Pirklbauer, dass der Standort nicht auf- sondern abgewertet würde. „Ein Beispiel: Wenn die Leistungen im Gesundheitsbereich schlechter werden, werden die Menschen mehr krank und fallen dann in der Arbeit aus. Oder wenn die Mittel für den Ausbau des Kindergartens fehlen und so weniger Kinder betreut werden können, fehlen deren Eltern auf dem Arbeitsmarkt. Das zeigt auch, dass die aus den Lohnnebenkosten finanzierten Leistungen den Unternehmen zugutekommen. Die Behauptung, diese hätten mit den Betrieben nichts zu tun, widerlegt sich von selbst.
Auch der neue Sozialbericht, verfasst von einer Vielzahl an hochkarätigen Wissenschaftler:innen, verweist nachdrücklich auf die Bedeutung des Sozialstaats als wichtiger Standortfaktor. So streicht er heraus, dass öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und Wohnen nicht nur entscheidend sind für gute Lebensverhältnisse, sondern die Produktivität und Prosperität steigern. Pirklbauer: „Wer nach Lohnnebenkosten-Kürzungen schreit, schädigt den Sozialstaat und damit den Wirtschaftsstandort.“
Vielmehr müssten jene Unternehmen in die Pflicht genommen werden, die mit ihren Geschäftspraktiken sowohl die Beschäftigten als auch den Staat schädigen. Dazu Pirklbauer: „Allein im Vorjahr wurden fast 47 Millionen Überstunden geleistet, die weder in Geld noch in Zeit abgegolten wurden. Den Arbeitnehmer:innen wurden so mindestens 1,3 Milliarden Euro vorenthalten. Für die öffentliche Hand gingen dadurch 600 Millionen Euro verloren.“
Weiters kritisiert die AK Expertin, dass Betriebe ihr unternehmerisches Risiko auf die Allgemeinheit abwälzen, indem sie ihre Beschäftigten beim AMS „zwischenparken“. Kosten: 550 Millionen Euro im Jahr. Pirklbauer: „Das schädigt nicht nur die arbeitenden Menschen und die öffentliche Hand, sondern auch die vielen korrekt handelnden Unternehmen. Sie haben massive Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen Betrieben, die ihre Abgaben nicht zahlen und sich am Sozialstaat bedienen. Hier einzugreifen, ist daher im Sinne der Fairness mehrfach notwendig.“
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